„Ein außergewöhnliches Scheitern “

Jede Aktion des Zentrums für politische Schönheit (ZPS) ist eine Provokation: Mit „Die Toten kommen“ brachten sie 2015 an der EU-Grenze verstorbene Flüchtlinge nach Berlin, AfD-Rechtsaußen Björn Höcke stellten sie 2017 eine Replik des Holocaust-Denkmals in den Garten. Dass Nazis und Machthabende sich angegriffen fühlen, ist für das ZPS üblich. Für ihre jüngste Aktion „Sucht nach uns“ aber haben sie Asche von Holocaust-Opfern in einer Stele vor dem Reichstag ausgestellt – und jüdische Verbände und andere gegen sich aufgebracht. Ein Gespräch mit Philipp Ruch vom ZPS über verletzte Gefühle, Spenden und das Scheitern.  

Herr Ruch, haben Sie mit der Aktion Ihr künstlerisches Ziel erreicht?  

Nein, die Aktion hat ihr Ziel völlig verfehlt. Sie ist gescheitert. Natürlich scheitern alle unsere Aktionen auf ihre Art. Aber hier liegt schon ein außergewöhnliches Scheitern vor. Menschen fühlten sich angegriffen. Und über das Anliegen – den Schulterschluss des deutschen Konservatismus mit dem Faschismus bei der Abstimmung zum Ermächtigungsgesetz 1933 in der Krolloper – wurde gar nicht gesprochen.

Vom Zentralrat der Juden bis zum Internationalen Auschwitzkomittee haben alle scharfe Kritik an der Aktion geäußert: Sie sei instrumentalisierend, mit Blick auf das Gebot der Totenruhe im Judentum verletzend.  

Das sind für uns gewichtige Stimmen und wir verstehen sie. Hoch anzurechnen ist all diesen Stimmen übrigens auch, dass sie ihre Kritik im Modus des Konditionals vorgetragen haben: Falls in der Stele Asche von Menschen jüdischen Glaubens sei, dann wäre es geschmacklos. Denn das ist der Knackpunkt.  

Die Kritik richtet sich auch dagegen, dass Sie mit dieser Wahrscheinlichkeit spielen.  

Das ist ein falsches Verständnis von künstlerischer Freiheit. Wir spielen nicht. Es gibt doch beim Film auch nicht nur eine Art von Regie. Es gibt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Und es gibt Til Schweiger oder Matthias Schweighöfer, die keine Holocaust-Filme drehen sollten. Wir gehören nicht zu letzteren, das hätte man mit dem Mahnmal vor Höckes Haus erkennen können.

Sie wissen also nicht, ob es die Asche jüdischer Menschen ist?

Das ist richtig. Wir wissen nicht, welcher Nation, welcher Religion, welcher Widerstandsgruppe die Menschen angehörten, deren Knochen verstreut auf Feldern liegen. Das ist doch das Infame. Die Täter haben alles weggeschliffen bis auf das, was sie nicht ausradieren konnten: das Menschsein selbst. Die Asche ist wie in der Welt von Schrödingers Katze. Die Identität dieser Menschen lässt sich gerade nicht feststellen. Es ist unmöglich, das Richtige zu tun.  

Sie hielten es für das Richtige, die Asche auszubuddeln.  

Da müssen Sie gar nicht graben. Die Knochen drücken nach Jahrzehnten an die Oberfläche und liegen in erschreckend hohen Körnungsgrößen einfach nur so rum. Haben wir je diskutiert, in welches Grab wir sie legen? Wie wir damit umgehen? Seit Jahrzehnten gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn.   

Die Kritik ist riesig. Sind Sie an den Punkt gekommen, an dem der Zweck nicht jedes Mittel heiligt?

Ja, das beweisen die Reaktionen. Unser Fehler lag in der Annahme, dass es notwendig sei, die Asche ins Regierungsviertel zu holen, um die Kräfte der Geschichte wachzurufen. Doch es hätte ohne sie funktionieren können. Das ist eine gute Nachricht.

Ist der Holocaust für Sie jetzt ein Tabu?    

Der Holocaust ist immer unser Ankerpunkt. Ohne das Wissen um ihn wird man unsere Handlungen nie ganz verstehen können. Nach elf Jahren haben wir mit einer Aktion erstmals den Mut gefasst, den Holocaust selbst ins Zentrum zu stellen. Es wird unser einziger künstlerischer Kommentar zum Holocaust bleiben.  

Stimmt Sie Ihr Scheitern traurig?  

Ja. In der Aktion „Sucht nach uns“ stecken zweieinhalb Jahre Arbeit. Aber was ist diese Arbeit am Ende wert, wenn wir die Gefühle von Holocaust-Überlebenden verletzt haben könnten? Das wollten wir nie. 

Trotzdem wollen Sie die Stele trotz Ablauf der Genehmigung vom Bezirksamt jetzt nicht abbauen. Warum räumen Sie den Ort nicht freiwillig?

Wir haben uns entschuldigt und radikale Schritte vollzogen: Wir haben die Asche, den Glutkern, entfernt und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz übergeben. Wir haben die Gedenkstätte völlig neu konzipiert. Jetzt hat sie nichts mehr mit der Schoah zu tun. Sie fordert seither dazu auf, die Verteidigung der Demokratie zu schwören.  

Der Ort verletzt aber noch immer die Gefühle. Eliyah Havemann ist Nachfahre eines im Holocaust Getöteten. Er war aus Israel angereist, um die Stele mit anderen zu zerstören.  

Über diesen Protest diskutieren wir gerade intensiv. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass wir jetzt darauf beharren, die Stele dort stehen zu lassen. Das Problem wird dadurch allerdings größer: Warum markieren wir den Ort der Krolloper nicht endlich gedenkpolitisch?  

Sie haben den Standort der ehemaligen Krolloper mit Ihrer Aktion aber zu einem Ort gemacht, wo jetzt nur über das ZPS diskutiert wird.  

Dazu fällt mir Kurt Tucholsky ein: „Derjenige, der auf den Schmutz hinweist, gilt für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“  

Sie haben online sogenannte Schwurwürfel mit in Glas gegossener Erde für 50 Euro das Stück verkauft. Was sollte das?  

Wir wollten eine Widerstandsgruppe gründen, eine Georg-Elser-Geheimgesellschaft, die im Falle des Falles weiß, was zu tun ist und die Demokratie nach Artikel 20 Absatz 4 verteidigt. Wenn die AfD die demokratisch-freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik stürzen will.  

Sie haben auch Spenden gesammelt. Wie viel Geld haben Sie insgesamt eingenommen?  

 

Einen hohen fünfstelligen Betrag. Das Crowdfunding diente aber nur der Refinanzierung eines Teils der Gedenkstätte.